Die schulische Bildung und berufliche Qualifikation gehören zu den bedeutendsten Faktoren, um Armut zu vermeiden. Für Schülerinnen und Schüler in Deutschland und Niedersachsen kann es daher umso hinderlicher für ihre soziale Teilhabe werden, wenn sie die allgemein bildende Schule verlassen, ohne mindestens einen Hauptschulabschluss erlangt zu haben. Denn dies bedeutet nicht nur schwierige Startbedingungen für die berufliche Bildung, sondern begrenzt auch die Möglichkeiten für einen sicheren und ausreichend gut bezahlten Job.
Im Folgenden wird zunächst die Armutsgefährdung von Personen mit niedriger Qualifikation und darunter ohne schulische Abschlüsse dargelegt, um in diesem Zusammenhang die Bedeutung der jährlichen Zahl der Abgängerinnen und Abgänger ohne Hauptschulabschluss in Niedersachsen herauszuarbeiten. Dabei geht es um die Struktur, Entwicklung und regionale Verteilung. Das Ergebnis zeigt, dass sich langfristig die Problemlage verringert hat, unabhängig vom jüngsten Anstieg der Zahl der Schulabgängerinnen und Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss im Schuljahr 2021/2022. Ausländerinnen und Ausländer sind durchschnittlich stärker betroffen als Deutsche, ebenso männliche öfter als weibliche Jugendliche.
Armutsrisiko von Menschen mit niedrigem Qualifikationsniveau in Niedersachsen doppelt so hoch wie im Durchschnitt
Während die Armutsgefährdung von Menschen im Alter ab 25 Jahren in Niedersachsen 2022 insgesamt bei 15,1% lag, war sie in der gleichen Altersgruppe unter denjenigen mit einem nach der International Standard Classification of Education (ISCED; siehe Infokasten) definierten niedrigen Qualifikationsniveau mit 31,4% (400.000 Personen) mehr als doppelt so hoch. Im Haushaltskontext zeigt sich umso mehr die gesellschaftliche Dimension: Denn verfügte die haupteinkommensbeziehende Person in einem Haushalt nur über ein geringes Qualifikationsniveau, betrug das Armutsrisiko aller im gleichen Haushalt lebenden Personen, egal welchen Alters, 38,2%. Das waren 2022 mit 603.000 Personen fast die Hälfte aller armutsgefährdeten Menschen in Niedersachsen.
Warum Menschen mit niedrigem Qualifikationsniveau besonders armutsgefährdet sind, ist leicht erkennbar: Die Gründe sind in der Regel
- damit einhergehende schlechtere Jobchancen,
- ein höheres (Langzeit-)Arbeitslosigkeitsrisiko und
- schlechter bezahlte Tätigkeiten von Jobs mit niedrigem als mit mittlerem oder hohem Qualifikationsniveau.
Einen Job zu haben, ist daher nicht alles, wenn er vergleichsweise niedrig bezahlt wird, selbst in einem Normalarbeitsverhältnis. So lag 2022 die Armutsgefährdungsquote von Erwerbstätigen mit niedriger Qualifikation in Niedersachsen mit 18,0% rund zweieinhalb Mal so hoch wie der Durchschnittswert unter allen Kernerwerbstätigen (Erwerbstätige ohne Auszubildende) mit 7,3%.
Armutsrisiko von Menschen ohne allgemein bildenden Schulabschluss dreimal so hoch wie im Durchschnitt
Personen, die über gar keinen Schulabschluss beziehungsweise lediglich über einen Förderschulabschluss verfügen, sind in der Regel den Personen zuzuordnen, die nur eine geringe Qualifikation aufweisen. Sie sind gewissermaßen die am geringsten Qualifizierten der gering Qualifizierten und damit im Vergleich zu denjenigen, die (höhere) Schulabschlüsse vorweisen können, am stärksten armutsgefährdet. So war in Niedersachsen 2022 mit 46,7% fast jede zweite Person ab 25 Jahren ohne schulischen Abschluss armutsgefährdet, das waren mehr als dreimal so viele wie in der Gesamtbevölkerung ab 25 Jahren. Unter den Menschen, die den Hauptschulabschluss als höchsten Schulabschluss innehatten, war „nur“ jede fünfte Person (20,3%) armutsgefährdet und unter denen mit (Fach-)Hochschulabschluss etwa jede elfte (9,3%).
Insgesamt ist das Bildungsniveau in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland und in Niedersachsen in der Gesamtbevölkerung allerdings kontinuierlich gestiegen. In Niedersachsen hatten 2022 mit 34,7% mehr als ein Drittel der Personen ab 25 Jahren die Fachhochschul-/Hochschulreife, 30,9% einen Realschul- oder gleichwertigen Abschluss und 27,3% einen Haupt-/Volksschulabschluss. Über keinen allgemein bildenden Schulabschluss einschließlich Förderschulabschluss verfügten nur 5,2% beziehungsweise 313.000 Personen. Von diesen waren 146.000 Personen armutsgefährdet.
Anteil der Abgängerinnen und Abgänger ohne Hauptschulabschluss in Niedersachsen in etwa auf Bundesniveau
Die Zahl der Bevölkerung ohne Hauptschulabschluss speist sich dabei nicht nur aus älteren Jahrgängen, sondern es verlassen jährlich weiterhin viele Schülerinnen und Schüler die allgemein bildenden Schulen, ohne mindestens einen Hauptschulabschluss erlangt zu haben, wie aus der Statistik der allgemein bildenden Schulen hervorgeht. In Niedersachsen traf dies 2022 (Schuljahr 2021/2022) auf 5.086 Jugendliche zu. Das entsprach 6,7% aller 76.241 Absolventinnen und Absolventen sowie Abgängerinnen und Abgänger desselben Jahres.
In der Sozial- und Bildungsberichterstattung wird die Anzahl zumeist in Bezug zur Bevölkerung in der entsprechenden Altersgruppe am 31.12. des Vorjahres gesetzt (siehe Infokasten). Für Niedersachsen ergab sich danach ein Anteil an der gleichaltrigen Bevölkerung von 6,0% im Jahr 2021. Das Land lag damit knapp unter dem bundesweiten Durchschnitt von 6,2%. Die niedrigste Quote wies Bayern mit 5,2% auf, die höchste Bremen mit 10,3%, gefolgt von Sachsen-Anhalt mit 9,6%.
Für 2022 errechnete sich für Niedersachsen eine Quote von 6,8%, hier in Bezug auf die durchschnittliche Bevölkerung im Alter von 14 und 15 Jahren am 31.12.20211Bei Redaktionsschluss lagen Zahlen für 2022 für die anderen Länder noch nicht vor.. Sie ist allerdings nicht frei von Verzerrungen, aufgrund der erst ab Ende Februar rasch zugenommenen Zahl der geflüchteten Kinder aus der Ukraine.
Zahl der Abgängerinnen und Abgänger ohne Hauptschulabschluss in Niedersachsen langfristig stark gesunken
Im Zeitraum von 20 Jahren ist die Zahl der Abgängerinnen und Abgänger ohne Hauptschulabschluss stark gesunken, im Vergleich 2022 zu 2002 (5.086 zu 8.675 Personen) betrug der Rückgang in Niedersachsen 41,4%. Zwar verringerte sich aufgrund der demografischen Entwicklung auch die Gesamtzahl aller Absolventinnen und Absolventen, Abgängerinnen und Abgänger, jedoch mit 14,4% viel weniger stark. Das bedeutet, dass auch unabhängig von der demografischen Entwicklung die Zahl der Abgängerinnen und Abgänger ohne Hauptschulabschluss abgenommen hat.
So verließ 2002 mit 9,7% noch fast jede zehnte Schülerin beziehungsweise jeder zehnte Schüler die allgemein bildende Schule ohne Hauptschulabschluss gegenüber etwa jeder beziehungsweise jedem 14. im Jahr 2022 (6,7%). Deutschlandweit sank die Abgängerinnen- und Abgängerzahl ohne Hauptschulabschluss 20212Neuere Daten lagen bei Redaktionsschluss noch nicht vor. im Vergleich zu 2002 von 85.314 auf 47.490, was einem Rückgang von 44,3% entsprach, niedersachsenweit verringerte sich die Zahl in diesem Zeitraum um 47,1%.
Die wenigsten Abgängerinnen und Abgänger ohne Hauptschulabschluss gab es in Niedersachsen in den Jahren 2013 bis 2016 mit jeweils weniger als 4.500 Jungen und Mädchen. Diese Zahl wurde seitdem allerdings nicht wieder erreicht und die Entwicklung zeigte bis 2019 wieder nach oben, entgegen der Entwicklung der Gesamtzahl der Absolventinnen und Abgänger, die demografisch bedingt seit 2013 rückläufig ist.
Rückgang während der ersten beiden Pandemiejahre
Im Jahr 2020 stoppte der Aufwärtstrend jedoch und die Zahl der Abgängerinnen und Abgänger ohne Hauptschulabschluss verringerte sich deutlich gegenüber dem Vorjahr um 15,0% auf 4.612 und 2021 auf 4.590. Dieser Niveaurückgang kann im Zusammenhang mit den flexibilisierten Versetzungsregelungen in Niedersachsen aufgrund der Corona-Pandemie entstanden sein und wird sich auch im zweiten Jahr der Pandemie ausgewirkt haben. Statistisch erfasst ist dies jedoch nicht. Schülerinnen und Schüler sollten zum Beispiel keine gravierenden Nachteile durch den ausgefallenen Unterricht und den durchgeführten Distanzunterricht erfahren.
Von 2021 zu 2022 zählten die Schulbehörden dagegen wieder einen deutlichen Anstieg der Zahl der Abgängerinnen und Abgänger ohne Hauptschulabschluss um 10,8%, während die Gesamtzahl der Absolventinnen und Absolventen sowie Abgängerinnen und Abgänger geringfügig um 0,1% zurückging. Die Ursache für die Zunahme könnte wie zuvor beim Rückgang ebenfalls mit der Pandemiesituation zu tun haben. So lässt sich vermuten, dass die zeitweise erfolgten Rücksichtnahmen nun mit entsprechenden Auswirkungen ausgelaufen sind. Zum anderen können die vielen geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer die Statistik beeinflusst haben. Dem Landesamt für Statistik (LSN) liegen Zahlen nach der konkreten Staatsangehörigkeit von Schulabgängerinnen und -abgängern jedoch nicht vor. Festgehalten werden kann aber, dass der Anstieg bei den Ausländerinnen und Ausländern 2022 im Vergleich zu 2021 mit 19,2% deutlich stärker ausfiel als bei denjenigen mit deutscher Staatsangehörigkeit (7,8%).
Ausländische Abgängerinnen und Abgänger deutlich öfter ohne Hauptschulabschluss
Generell zeigt sich ein deutlicher Unterschied bei Betrachtung der Staatsangehörigkeit: Unter den Deutschen betrug 2022 die Quote 5,5%, während sie bei den Ausländerinnen und Ausländern mit 18,1% mehr als dreimal so hoch ausfiel.
Auch in Bezug auf das Geschlecht zeigt sich bei den Abgängerinnen und Abgängern ohne Hauptschulabschluss ein Ungleichgewicht: Von den 5.086 Personen waren 59,6% Jungen und 40,4% Mädchen. Die Quote an der gleichaltrigen durchschnittlichen Bevölkerung lag 2022 bei den männlichen Jugendlichen mit 7,9% über der Quote von 5,7% unter den weiblichen Jugendlichen.
Etwa vier von zehn Abgängerinnen und Abgängern ohne Hauptschulabschluss haben einen Förderschulabschluss
In die Gesamtzahl der Abgängerinnen und Abgänger ohne Hauptschulabschluss fallen auch diejenigen Schülerinnen und Schüler, die einen der beiden Förderschulabschlüsse Geistige Entwicklung und Lernen erlangt haben. Von den 5.086 Abgängerinnen und Abgängern ohne Hauptschulabschluss in Niedersachsen waren dies im Jahr 2022 mit 2.228 Jugendlichen 43,8%. Das heißt zugleich, dass 2.858 Abgängerinnen und Abgänger die allgemein bildende Schule ganz ohne Abschluss verließen. Unabhängig davon haben beide Gruppen erschwerte berufliche Perspektiven. Ein Blick auf die Schulgliederung zeigt, dass die meisten Abgängerinnen und Abgänger ohne Hauptschulabschluss eine Oberschule besucht haben (34,6%), gefolgt von den Förderschulen (zusammen 28,0%) und der Hauptschule (15,5%).
Viele Abgängerinnen und Abgänger ohne Hauptschulabschluss in den westlichen Landkreisen und kreisfreien Städten des Landes
Regional auffällig ist, dass in der Statistischen Region Weser-Ems (7,8%) und dort insbesondere in den Landkreisen im Westen und Nordwesten höhere Quoten von Abgängerinnen und Abgängern ohne Hauptschulabschluss zu finden waren als in den anderen Statistischen Regionen (Statistische Regionen Lüneburg und Hannover jeweils 6,6%, Statistische Region Braunschweig: 5,8%). Dies ist für 2022 nicht nur eine Momentaufnahme, sondern zeigte sich in der Regel auch im zurückliegenden Zeitraum bis 2002. Die Spanne auf Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte in Niedersachsen reichte 2022 von 3,3% in der kreisfreien Stadt Wolfsburg bis 16,1% in Emden, gefolgt von 12,2% im Landkreis Lüchow-Dannenberg. Dabei muss beachtet werden, dass es sich bei den Letztgenannten einmal um 74 und einmal um 55 Abgängerinnen und Abgänger handelte, in der Landeshauptstadt Hannover mit einer Quote von 7,6% dagegen um 340.
Auch wenn man nur die Abgängerinnen und Abgänger ohne Hauptschulabschluss mit deutscher Staatsangehörigkeit betrachtet, ändert sich das regionale Bild kaum. Das heißt, hohe Anteile unter ausländischen Schülerinnen und Schülern, deren Schulerfolg eher durch mögliche Sprachbarrieren beeinflusst sein könnte, sind nicht automatisch ursächlich für regional hohe Quoten.
Viele Abgängerinnen und Abgänger erlangen an berufsbildenden Schulen Hauptschulabschluss
Für viele Abgängerinnen und Abgänger ohne Hauptschulabschluss bedeutet das Verlassen des allgemein bildenden Schulsystems noch nicht, dass sie „abschlusslos“ bleiben beziehungsweise den Förderschulabschluss endgültig als höchsten Abschluss erlangt haben müssen. Denn an berufsbildenden Schulen kann der Hauptschulabschluss ebenfalls erworben und damit gewissermaßen „nachgeholt“ werden, was 2021 auch 3.528 niedersächsischen Absolventinnen und Absolventen gelang. Die Zahl schwankte in den Jahren 2016 bis 2020 zwischen 3.500 und 4.900. Daraus lässt sich schließen, dass ein großer Teil der Abgängerinnen und Abgänger der allgemein bildenden Schulen ohne Hauptschulabschluss diesen schließlich an einer berufsbildenden Schule „nachgeholt“ hat, eine genaue Bezifferung ist jedoch nicht möglich. Wie viele darüber hinaus die berufsbildende Schule mit einem höherwertigen Abschluss verlassen haben, geht aus der Erhebung ebenfalls nicht hervor. Hierfür wären Verlaufsanalysen nötig, die mit der amtlichen Bildungsstatistik derzeit nicht möglich sind. Perspektivisch könnte hier ein Bildungsverlaufsregister Antworten liefern, welches derzeit im Statistischen Verbund konzipiert wird.
Zusammenfassung
Die Zeitreihe bis 2016 zeigt einen eindeutig rückläufigen Trend der Zahl der Abgängerinnen und Abgänger ohne Hauptschulabschluss. Ob der seitdem bis 2019 beobachtete Anstieg ohne Corona-Pandemie sich auch 2020 und 2021 fortgesetzt hätte, darüber gibt es keine stichhaltigen Erkenntnisse. Der jüngste Anstieg ist noch kein Beleg dafür, dass die Jahre zuvor nur eine „positive“ Delle dargestellt haben. Der Ländervergleich zeigt, dass die niedersächsischen Zahlen kein außergewöhnliches Ausmaß darstellen. Deutlich niedrigere Quoten gibt es in den anderen Ländern nicht.
Die hohe Diskrepanz zwischen den Quoten der deutschen und denen der ausländischen Schülerinnen und Schüler gibt einen Hinweis darauf, dass Letztere im schulischen System möglicherweise nicht ausreichend integriert sind. Die Gründe können vielfältig sein. Dass Sprachbarrieren hierbei eine Rolle spielen und damit im Endeffekt die Aufenthaltsdauer in Deutschland zum Zeitpunkt des Verlassens des allgemein bildenden Schulsystems, liegt nahe. Fest steht, dass der Unterschied seit Jahrzehnten zu beobachten ist.
Der Blick auf die Zahl derjenigen Schülerinnen und Schüler, die an den berufsbildenden Schulen den Hauptschulabschluss „nachgeholt“ haben, hebt die besondere Funktion der berufsbildenden Schulen für allgemein bildende Schulabschlüsse noch einmal hervor.
Fußnoten
- 1Bei Redaktionsschluss lagen Zahlen für 2022 für die anderen Länder noch nicht vor.
- 2Neuere Daten lagen bei Redaktionsschluss noch nicht vor.