Menschen, die auf der Straße leben, sind täglich in den meisten Innenstädten in Deutschland und Niedersachsen sichtbar. Aber Wohnungslosigkeit hat viele Gesichter: Frauen und Männer, die ohne Unterkunft im öffentlichen Raum leben, stellen eine Gruppe mit besonders harten Lebensumständen dar, gleichwohl sind sie nur der allgemein sichtbare Teil einer noch viel größeren Gruppe Wohnungsloser oder von Wohnungslosigkeit bedrohter Menschen. Um zumindest für einen Teil der Betroffenen zu erfahren, wie groß diese Personengruppe ist, wurde die Statistik untergebrachter wohnungsloser Personen eingeführt. Welche Daten diese Statistik beinhaltet sowie Hintergründe und Informationen zur Methodik lesen Sie in diesem Beitrag.
Typologie für Wohnungslosigkeit
Die European Federation of National Organisations Working with the Homeless (FEANTSA) hat eine Typologie für Wohnungslosigkeit erstellt: ETHOS Light (European Typology of Homelessness and Housing Exclusion). Hiernach wird Wohnungslosigkeit in 6 operative Kategorien unterteilt, die insgesamt 12 verschiedene Wohnsituationen umfassen. Die Kategorie I beschreibt obdachlose Menschen, die im öffentlichen Raum – z. B. auf der Straße oder unter Brücken – leben. Die Kategorien II und III stehen für Männer und Frauen, die in Notunterkünften oder in Wohnungsloseneinrichtungen übernachten bzw. leben. Menschen, die von Institutionen entlassen werden, beschreibt Kategorie IV und Kategorie V steht für Personen, die in Wohnprovisorien leben. Die Kategorie VI umfasst Frauen und Männer, die in regulären Wohnungen bei Freundinnen und Freunden, Bekannten oder Verwandten temporär unterkommen (vgl. A1). Letzteres wird auch als verdeckte Wohnungslosigkeit bezeichnet. In jeder dieser Wohn- und Lebenssituationen besteht Handlungsbedarf (ETHOS Light A1).
Der Beitrag der amtlichen Statistik zum Thema Wohnungslosigkeit
Am 4. März 2020 ist das Wohnungslosenberichterstattungsgesetz (WoBerichtsG) in Kraft getreten. Es regelt u. a. die Einführung einer neuen zentralen Bundesstatistik zu den untergebrachten Wohnungslosen. Zweck der Erhebung ist die Verbesserung der Armuts- und Reichtumsberichterstattung des Bundes, aber auch die Schaffung einer Informationsgrundlage für politisches Handeln.
Erfasst werden alle Personen, die aufgrund von Wohnungslosigkeit untergebracht sind. Die Erhebung wird seit 2022 jährlich zum Stichtag 31. Januar zentral vom Statistischen Bundesamt durchgeführt. Das Statistisches Bundesamt übermittelt den Statistischen Ämtern der Länder die Tabellen und die Einzeldatensätze für ihr jeweiliges Land. Die Daten für Niedersachsen sind über die GENESIS-Online-Datenbank des Statistischen Bundesamtes abrufbar und auf der Internetseite der LSN zu finden. Gemäß den Kategorien der ETHOS Light Typologie umfasst die Statistik Menschen in Notunterkünften (II) sowie Personen, die in Wohnungsloseneinrichtungen leben (III, ohne Nr. 6 – siehe Abbildung A2). In § 3 Abs. 2 WoBerichtsG heißt es:
„(2) Für die Statistik werden Daten erhoben über Personen, denen aufgrund von Maßnahmen der Gemeinden und Gemeindeverbände oder mit Kostenerstattung durch andere Träger von Sozialleistungen zum Stichtag wegen Wohnungslosigkeit Räume zu Wohnzwecken überlassen oder Übernachtungsgelegenheiten zur Verfügung gestellt worden sind.“
Amtliche Statistik: Chancen und Grenzen
Das Besondere der amtlichen Statistik ist, dass durch Gesetze und Rechtsvorschriften Statistiken mit Auskunftspflicht angeordnet werden können. Dies ermöglicht eine verlässliche Darstellung bestimmter Massenerscheinungen im Zeitverlauf. Für die im Gesetz definierte Gruppe der untergebrachten Wohnungslosen lässt sich eine Erhebung mit Auskunftspflicht umsetzen. Auskunftspflichtig sind z. B. Ordnungsämter, Verwaltungen und Einrichtungen. Die Auskunftspflicht ist in § 6 WoBerichtsG geregelt. Damit leistet die amtliche Statistik einen wichtigen Beitrag, die Gruppe der untergebrachten Wohnungslosen verlässlich abzubilden. Die Zahlen geben nicht die Gesamtzahl der Wohnungslosen in Deutschland oder Niedersachsen wieder. Um auch Formen von Wohnungslosigkeit, die sich in der amtlichen Statistik nicht wiederfinden, in den Blick zu nehmen, hat der Gesetzgeber alle zwei Jahre eine ergänzende Berichterstattung angeordnet (§ 8 Ergänzende Berichterstattung WoBerichtsG). Der erste Bericht ist unter dem Titel „Ausmaß und Struktur von Wohnungslosigkeit. Der Wohnungslosenbericht 2022 des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales“ erschienen.
Die Inhalte der Statistik untergebrachter wohnungsloser Personen im Einzelnen
In der Statistik untergebrachter wohnungsloser Personen werden Daten über Personen erhoben, die ordnungsrechtlich, sozialrechtlich oder durch andere Träger der Sozialhilfe untergebracht sind. Die Wohnungslosigkeit wird durch diese Maßnahmen aber nicht beendet. Ebenfalls in die Erhebung einzubeziehen sind Geflüchtete, deren Asylverfahren positiv beschieden wurde, die aber zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit weiterhin in Gemeinschaftsunterkünften oder Aufnahmeeinrichtungen verbleiben, die eigentlich für Asylbewerberinnen und -bewerber vorgesehen sind.
Für jede wohnungslose Person werden dem Statistischen Bundesamt von den auskunftspflichtigen Stellen eine Reihe von Merkmalen übermittelt (gem. § 4 WoBerichtsG). Die Abbildung A3 veranschaulicht die Informationen, die für jede Person erhoben werden. Neben Geschlecht, Alter und Staatsangehörigkeit werden auch Angaben zur Haushaltsgröße und dem Haushaltstyp – alleinstehend, alleinerziehend, (Ehe-)Paar, Familien etc. – erfasst. Zudem wird der Ort der Unterbringung (amtliche Gemeindeschlüssel), das Datum des Beginns der Überlassung sowie die Art der Überlassung der Wohnräume/Übernachtungsgelegenheiten erhoben. Bei Letzterem wird differenziert nach kurzfristigem Hilfeangebot (zum Beispiel Notunterkünfte, Übernachtungsstellen), teilstationärem und stationären Angebot sowie sonstigem Angebot. Bezogen auf die überlassenen Räumlichkeiten ist anzugeben, wer der Anbieter der Räumlichkeiten ist: ein überörtlicher Träger der Sozialhilfe, eine Gemeinde/ein Gemeindeverband, ein freier Träger, ein gewerblicher Anbieter oder eine sonstige Stelle. Weitere Details zur Erfassung einzelner Merkmale finden sich in den Fachinformationen zu der Erhebung auf der Seite des Statistischen Bundesamtes.
Herausforderungen und Ausblick
Das Statistische Bundesamt hat zum Stichtag 31.01.2022 die Statistik, den Berichtskreis und die Erhebungswege neu aufgebaut. Dabei ist nicht auszuschließen, dass vereinzelt Einrichtungen, die Wohnungslose im Sinne der Statistik unterbringen, keine Daten übermittelt haben. Diese vereinzelten Untererfassungen schmälern nicht die Gesamtaussage der Erhebung, sind bei Interpretationen im Detail im Zeitverlauf allerdings mitzudenken. Weiterhin liegen Daten über Geflüchtete oft nicht oder nicht vollständig bei den auskunftspflichtigen Stellen vor. Ausländerbehörden, die Auskünfte über den Personenkreis erteilen könnten, sind im Rahmen der Statistik nicht auskunftspflichtig. Dazu kommen Schwierigkeiten bei einzelnen Merkmalsausprägungen.
Die eingangs dargestellte Europäische Typologie für Wohnungslosigkeit zeigt wie facettenreich diese ist. Die neue Erhebung zu den untergebrachten wohnungslosen Personen liefert wichtige und verlässliche Daten zu einer Personengruppe, über die systematisch und deutschlandweit vergleichbar bisher keine Informationen vorlagen. Um politische Entscheidungen treffen und handeln zu können, sind diese unerlässlich. Zu bedenken ist stets, dass Daten nur zu einer bestimmten Gruppe von Wohnungslosen erhoben werden. Durch unterschiedliche Abgrenzungen und verschiedene Datengrundlagen finden sich teilweise deutlich voneinander abweichende Ergebnisse zum Thema Wohnungslosigkeit. Bei einer genaueren Betrachtung sind viele Abweichungen aber erklärbar.