In Niedersachsen waren im Jahr 2022 rund 1,37 Millionen Menschen armutsgefährdet. Die Armutsgefährdungsquote betrug damit bei der in Privathaushalten lebenden Bevölkerung am Hauptwohnsitz 17,1%. Wie hat sich die Zahl in den letzten Jahren verändert? Welche Bevölkerungsgruppen sind besonders armutsgefährdet und was sind mögliche Faktoren? Der folgende Beitrag liefert Informationen aus der amtlichen Sozialberichterstattung zum Thema Einkommensarmut.
Armutsgefährdung innerhalb Niedersachsens im Ländervergleich leicht über dem Durchschnitt
Mit 17,1% lag die Armutsgefährdungsquote in Niedersachsen 2022 nach dem Regionalkonzept im Mittelfeld aller 16 Länder (vgl. T1 und A1 Regionalkonzept). Dabei wird der jeweilige Einkommensdurchschnitt des jeweiligen Bundeslandes zugrunde gelegt, also die Einkommensungleichheit innerhalb jedes einzelnen Landes betrachtet. Die höchsten Armutsgefährdungsquoten gab es danach in den Stadtstaaten Hamburg (20,4%) und Bremen (19,9%), die niedrigsten zwischen 12,5% und 14,9% wie in der Vergangenheit auch in den ostdeutschen Flächenländern.
Misst man die Armutsgefährdung dagegen am bundesdeutschen Durchschnittseinkommen, löst sich der deutliche Ost-West-Unterschied auf (vgl. T1, Nationalkonzept). Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern sowie Thüringen verzeichneten danach deutlich überdurchschnittliche Quoten, während sie in Sachsen knapp und in Brandenburg deutlich unter dem bundesweiten Wert lagen.
Niedersachsen lag hingegen auch in Bezug auf die durchschnittlichen bundesweiten Einkommen mit 17,9% im Mittelfeld der Länder, aber 1,2 Prozentpunkte über dem Bundesdurchschnitt (16,7%). Die Differenz der beiden Quoten ist auf einen Unterschied von 37 Euro des Landes- und Bundesmedianeinkommens zurückzuführen (siehe A2 und Tabelle T2).
Armutsgefährdung seit 2020 unverändert
Im Vergleich der beiden Vorjahre zeigte sich 2022 für Niedersachsen keine Veränderung im Ausmaß der Armutsgefährdung. Allerdings lag sie in diesen drei Jahren mit 17,0% im Jahr 2020 und jeweils 17,1% in den Jahren 2021 und 2022 auch auf einem besonders hohen Niveau. Der Weg dorthin zeichnete sich auf Sicht von zehn Jahren von 2009 bis 2019 bereits langsam ab, auch wenn diese beiden Zeiträume aufgrund methodischer Umstellungen in der Erhebung nur eingeschränkt miteinander vergleichbar sind.
Armutsrisikogruppen in Niedersachsen 2022 wie in den Vorjahren
Betrachtet man die Bevölkerung nach soziodemografischen Merkmalen, ergab sich 2022 das gewohnte Bild aus den zurückliegenden Berichtsjahren (siehe T3a und A3, A4) wie unter anderem folgende Ergebnisse zeigen:
- Frauen sind öfter armutsgefährdet (18,3%) als Männer (15,9%),
- Kinder und junge Erwachsene tragen weiterhin ein deutlich überdurchschnittliches Armutsrisiko (22,3% und 24,8%),
- Menschen mit einem niedrigen Qualifikationsniveau haben ein deutlich höheres Armutsrisiko als Menschen mit einem hohen Qualifikationsniveau (31,4% zu 7,3%),
- Menschen mit Zuwanderungsgeschichte sind deutlich öfter armutsgefährdet als Menschen ohne Zuwanderungsgeschichte (30,4% gegenüber 12,6%) und
- letztendlich ist auch der Erwerbsstatus entscheidend (Erwerbslose: 48,5%, Erwerbstätige: 9,1%).
Eine reine Betrachtung der Quoten ist bei den Armutsrisikogruppen jedoch nicht immer ausreichend. Das zeigt sich besonders bei der Gegenüberstellung von Erwerbstätigen und Erwerbslosen: So fiel die absolute Zahl der erwerbstätigen armutsgefährdeten Personen 2022 sechs Mal so hoch aus wie die der armutsgefährdeten Erwerbslosen (373.000 zu 58.000 Personen).
Im Fokus sozialpolitischer Debatten stehen seit Jahren vor allem die Kinderarmut und auch immer stärker die Altersarmut. Bei der Kinderarmut ist zudem die ohnehin hohe Bedeutung des Migrationshintergrundes herauszustellen, weil nicht nur die Armutsgefährdungsquote, sondern auch die absolute Zahl deutlich über denen der Kinder ohne Zuwanderungsgeschichte liegt.
Familien mit drei Kindern und mehr besonders häufig armutsgefährdet
Im Durchschnitt war in Niedersachsen auch 2022 mehr als jedes fünfte Kind armutsgefährdet (22,3%). Je nach Familienform und -größe gab es dabei mitunter deutliche Unterschiede: Ein-Kind-Familien mit zwei Elternteilen (bzw. zwei Erwachsenen) wiesen 2022 mit 8,7% eine niedrigere Armutsgefährdung auf als Paarhaushalte ohne Kinder (9,3%). Bei Paarhaushalten mit zwei Kindern lag die Quote mit 11,2% zwar eindeutig über den Paarhaushalten ohne Kinder, aber noch deutlich unter dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung. Bei drei und mehr Kindern hingegen lag die Armutsgefährdungsquote mit 31,5% mehr als drei Mal so hoch wie bei Paaren ohne Kinder.
In Alleinerziehendenfamilien waren die Familienmitglieder, also zumeist Mütter und deren Kinder, mit einer Armutsgefährdungsquote von 42,9% weiterhin am stärksten armutsgefährdet. Dies ist hauptsächlich dadurch bedingt, dass bei ihnen per se nur ein im Haushalt lebendes Elternteil einer Erwerbsarbeit nachgehen kann beziehungsweise könnte. Hinzu kommt nicht selten eine ungenügende Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Familien mit Zuwanderungsgeschichte und mindestens drei Kindern fast vier Mal öfter armutsgefährdet als ohne Zuwanderungsgeschichte
Der Blick auf die Zuwanderungsgeschichte von Familien zeigt überdies, welche Einkommenskluft zwischen Familien mit und ohne Migrationshintergrund liegt (siehe A5 und A6 und T3b): Bei Ein-Kind-Paarfamilien lag das Armutsrisiko bei denen mit Migrationshintergrund mit 17,7% dreieinhalb Mal so hoch wie bei solchen ohne (5,0%). Von den Paar-Familien mit drei und mehr Kindern war bei denen mit Migrationshintergrund etwa jede zweite (52,0%) armutsgefährdet und damit fast vier Mal so häufig wie Paar-Familien ohne Migrationshintergrund (13,5%). Bei Alleinerziehendenfamilien, die generell ein sehr hohes Armutsrisiko aufweisen, war die Quote unter denjenigen mit Zuwanderungsgeschichte anderthalb Mal so hoch wie bei denen ohne Zuwanderungsgeschichte (57,1% zu 35,6%).
Armutsgefährdung im Alter bei Frauen deutlich höher als bei Männern
Zwar ist die Altersarmut in Niedersachsen weniger ausgeprägt als die Kinderarmut, die Armutsgefährdung im Alter hat seit Jahren jedoch langsam aber stetig zugenommen. In absoluten Zahlen liegt sie gleichauf mit der Zahl der armutsgefährdeten Kinder. 2022 waren 17,9% der Generation 65+ von Armutsgefährdung betroffen (siehe A3). Unter den Frauen war sogar jede Fünfte (20,0%) armutsgefährdet, bei den Männern dagegen „nur“ etwas weniger als jeder Sechste (15,5%). In der Altersgruppe der Menschen ab 80 Jahren fällt der Abstand noch einmal stärker aus: Frauen waren hier 2022 zu 21,6% armutsgefährdet, während die Quote bei den Männern 14,7% betrug.
Die deutlichen Unterschiede ergeben sich aus den niedrigeren Renten von Frauen aufgrund geringerer Erwerbszeiten sowie der Verdienstunterschiede und sind zudem im Haushaltskontext zu sehen. Da viel mehr Frauen als Männer im hohen Alter alleine wohnen, sind auch die gewichteten Haushaltseinkommen entsprechend niedriger.
Alleinlebende ab 65 Jahren wiesen 2022 eine Armutsgefährdungsquote von 28,6% auf, gegenüber 12,7% von Menschen, die in Mehrpersonenhaushalten wohnten. Von den Frauen in Einpersonenhaushalten in dieser Altersgruppe waren 29,5% armutsgefährdet, unter den Männern 26,1%. In der Altersgruppe 80+ waren die Unterschiede zwischen den Geschlechtern mit 16,7% (Männer) zu 26,9% (Frauen) noch größer.
Bildungsniveau entscheidender Faktor: Personen mit niedriger Qualifikation in Niedersachsen mehr als vier Mal so häufig armutsgefährdet wie Personen mit hoher Qualifikation
Bildung schützt vor Armut. Dieses Prinzip ist im Großen und Ganzen 2022 weiterhin gültig. In Niedersachsen hatten Personen in Haushalten, in denen der Haupteinkommensbezieher beziehungsweise die Haupteinkommensbezieherin ein niedriges Qualifikationsniveau aufwiesen (zu den Qualifikationsniveaus: siehe methodische Hinweise am Ende des Beitrages), mit einer Gefährdungsquote von 38,2% ein fast sechsmal so hohes Armutsrisiko wie Haushalte mit hohem Qualifikationsniveau der haupteinkommensbeziehenden Person (6,7%) (T3a).
Betrachtet man alle Personen mit hohem Qualifikationsniveau und alle mit niedrigem Qualifikationsniveau ab 25 Jahren, unabhängig vom Haushaltskontext, liegt der Faktor mit 4,3 etwas niedriger (31,4% zu 7,3%). Das zeigt, dass die Haushaltskonstellation auch hier einen wesentlichen Einfluss hat. Schaut man hierbei nur auf die Kernerwerbstätigen (Erwerbstätige im Alter von 15 bis unter 65 Jahren, die nicht in Bildung oder Ausbildung sind), war der Niveauunterschied in der Höhe der Armutsgefährdung zwischen den Qualifikationsniveaus etwa gleich stark. Bei denjenigen mit niedrigem Qualifikationsniveau lag 2022 die Armutsgefährdung bei 18,0%, bei denjenigen mit hohem Niveau bei nur 3,3%. Bei einem mittleren Qualifikationsniveau betrug die Quote 6,6%.
Struktur der armutsgefährdeten Bevölkerung in Niedersachsen: Rund 44% lebten 2022 in Familienhaushalten
Anders als die Armutsgefährdungsquoten der jeweiligen soziodemografischen Gruppen zeigt die Struktur, wie sich die Zahl aller armutsgefährdeten Menschen anteilig zusammensetzt. Danach handelte es sich bei 22,5% der 1,37 Millionen armutsgefährdeten Menschen in Niedersachsen um Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren und zum gleichen Teil (22,5%) um 65 Jahre alte und ältere Personen (vgl. A7). In der Gesamtbevölkerung (Bevölkerungsfortschreibung zum 31.12.2022) waren hingegen nur 17,1% minderjährig, und der Anteil der 65-Jährigen und Älteren machte 22,5% aus.
Bezogen auf den Haushaltszusammenhang lebten 2022 rund ein Drittel (33,2%) aller armutsgefährdeten Menschen in Niedersachsen in einem Einpersonenhaushalt (vgl. A8). Ihr Anteil an der Bevölkerung in Hauptwohnsitzhaushalten lag jedoch nur bei rund einem Fünftel (19,6%). Personen in Haushalten mit Kindern machten 43,5% der armutsgefährdeten Bevölkerung aus.
Mit Blick auf den Erwerbsstatus lässt sich feststellen, dass 2022 mehr als ein Viertel (27,2%) aller armutsgefährdeten Menschen in Niedersachsen einer Erwerbstätigkeit nachging (vgl. A9). Erwerbslose machten lediglich 4,2% der armutsgefährdeten Bevölkerung aus. Den größten Teil (68,6%) stellten Nichterwerbspersonen dar, worunter Kinder unter 18 Jahren und Rentnerinnen und Rentner sowie sonstige Nichterwerbspersonen wie zum Beispiel Studierende fallen. Diese Bevölkerungsgruppen haben kaum aus sich selbst heraus eine Möglichkeit, die Armutsschwelle zu überwinden, da sie (noch) nicht erwerbsfähig sind oder in bedeutendem Ausmaß erwerbstätig sein können.
Eine deutsche Staatsangehörigkeit hatten rund drei Viertel (73,3%) aller armutsgefährdeten Personen in Niedersachsen bei einem Anteil in der Gesamtbevölkerung von 89,7% (Bevölkerungsfortschreibung zum 31.12.2022). Eine Zuwanderungsgeschichte hatten 44,7% der armutsgefährdeten Bevölkerung, in der Gesamtbevölkerung lag der Anteil dieser Personengruppe 2022 jedoch nur bei rund einem Viertel (25,1%).
Reichtumsquote 2022: Niedersachsen leicht unter dem bundesweiten Durchschnitt
Neben der Armutsgefährdungsquote wird in der amtlichen Sozialberichterstattung eine Reichtumsquote berechnet. Auch diese wird über das Einkommen ermittelt, womit es sich also um eine Einkommensreichtumsquote handelt. Vermögensverhältnisse werden dagegen nicht abgebildet, auch wenn davon ausgegangen werden kann, dass kontinuierlich hohe Einkommen in der Regel auch mit Vermögenszuwächsen einhergehen.
Als „reich“ gelten danach Personen mit mehr als 200% des monatlichen Medianeinkommens. Die Reichtumsquote gibt somit an, wie groß der Bevölkerungsanteil ist, dessen Einkommen mehr als doppelt so hoch ist wie das mittlere Einkommen der Gesamtbevölkerung. Für Einpersonenhaushalte lag der Schwellenwert im Jahr 2022 in Niedersachsen bei einem monatlichen Nettoeinkommen von 3.891 Euro und für einen Haushalt mit 2 Erwachsenen und 2 Kindern unter 14 Jahren bei 8.172 Euro.
In Niedersachsen lag die Reichtumsquote 2022 bei 7,3%, womit etwa jede 14. Person als einkommensreich galt (vgl. A9). Die niedrigsten Quoten mit Werten zwischen 4,9% und 5,6% wiesen die ostdeutschen Flächenländer auf. Die höchsten Quoten errechneten sich wie in den Jahren zuvor in den Stadtstaaten Hamburg (9,5%), Bremen (9,2%) und Berlin (8,9%), wo zugleich auch die höchste Armutsgefährdung verzeichnet wurde. Das zeigt, dass dort die Gegensätze zwischen „arm“ und „reich“ gemessen am Landesmedian der Haushaltseinkommen besonders ausgeprägt waren. Bundesweit betrug die Reichtumsquote 7,7%.
Zusammenfassung
Nach den Eckzahlen zur Armutsgefährdung zu urteilen, die sich auf die Ungleichheit der Haushaltseinkommen bezieht, hat sich die soziale Lage 2022 in Niedersachsen nicht verschärft, jedoch auf einem nun seit drei Jahren hohem Niveau gehalten: Etwa jede beziehungsweise jeder Sechste war armutsgefährdet.
Dabei gibt es kleinere Schwankungen innerhalb der Bevölkerungsgruppen. Auffällig für 2022 war zum Beispiel die Steigerung innerhalb eines Jahres um rund 21.000 armutsgefährdete Kinder mit Zuwanderungsgeschichte, was auch auf den Zuzug der vielen (Alleinerziehenden-)Familien aus der Ukraine zurückzuführen sein könnte. Generell sind dezidierte Aussagen über die Auswirkungen der Zuwanderung jedoch nur eingeschränkt möglich. Aufgrund des starken Zuzugs wurden 2022 Schutzsuchende aus der Ukraine im Mikrozensus nicht vollständig erfasst. Die Zahlen aus den Sozialstatistiken deuten jedoch daraufhin, dass das Gros der zugewanderten ukrainischen Staatsangehörigen über Haushaltseinkommen verfügte, die unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle lagen.
Aufgrund der hohen Inflation und der einhergehenden Reallohnverluste von durchschnittlich 4,5% muss die Armutsgefährdungsquote für 2022 allerdings aus einem gegenüber den Vorjahren veränderten Kontext interpretiert werden, um indirekte Aussagen über materielle und soziale Teilhabemöglichkeiten tätigen zu können. Die Haushaltseinkommen sind zwar gestiegen, das was die Menschen beziehungsweise Haushalte sich davon jedoch noch leisten konnten, ist weniger geworden.
Für das Jahr 2023 deuten die Arbeitsmarktlage und die gestiegenen Löhne daraufhin, dass die Armutsgefährdung das Niveau der letzten drei Jahre eher nicht überschreiten wird.
Ein umfangreicher Überblick zur sozialen Lage in Niedersachsen findet sich im Statistikteil der jährlich vom Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung herausgegebenen und im Landesamt für Statistik erstellten Handlungsorientierten Sozialberichterstattung wieder.
Was die Armutsgefährdung konkret für Menschen bedeutet, auf was sie aus finanziellen Gründen verzichten müssen und welche Ausgrenzung sie infolge dessen erfahren, lesen Sie in Armutsgefährdung in Niedersachsen im Jahr 2022 – Teil 2: Materielle und soziale Entbehrungen.
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